Das nachtblaue Kleid by Karen Foxlee

Das nachtblaue Kleid by Karen Foxlee

Autor:Karen Foxlee [Foxlee, Karen]
Die sprache: deu
Format: azw3, epub, mobi
veröffentlicht: 2014-09-05T22:00:00+00:00


Gedrehter Kettenstich

Detective Glass ist in seinem Motelzimmer. Er liegt vollständig angezogen mit ausgestreckten Armen auf dem Bett. Ihm tun immer noch die Beine vom gestrigen Wandern weh. Er denkt über Berge nach und wie sie in Folge erdgeschichtlicher Katastrophen entstehen. Immer. Jeder einzelne. Erdbeben und Vulkanausbrüche, riesenhafte, alles erschütternde Ereignisse. Tektonische Platten oder wie das Zeug heißt, die blind aufeinanderkrachen, sich in die Höhe drücken, bersten, zerbröckeln.

Leiden.

Er sollte sich duschen, aber er kommt einfach nicht hoch. Das Motelzimmer ist fast ganz in Beige gehalten. Beiger Teppich. Beige Vorhänge. Beiger Bettüberwurf. Senffarbene Wände. Ein verblasster Druck vom Regenwald hängt an der Wand, ein gefälliger Bach im Nebel, sanft plätscherndes Wasser, moosbewachsene Felsen. Er weiß, dass die Wahrheit anders aussieht. Allein dorthin zu kommen, ist ein Alptraum: überall kratzendes Gestrüpp, glitschige Steine, die einen Mann glatt umbringen können.

»Okay«, sagt er laut in den Raum. »Denk nach.«

Stattdessen klingelt das Telefon. Er kann gerade so danach greifen, ohne sich umzudrehen.

»Also, was habt ihr?«, fragt er.

Er holt sein Notizbuch aus der Tasche. Seinen Stift. Er schließt die Augen und hört zu. Auf der Keksverpackung gibt es einen brauchbaren Fingerabdruck, der den Regen überstanden hat. Er gehört einem jungen Mann, der einmal als zweiundzwanzigjähriger in Cairns wegen Besitz von Marihuana verhaftet worden war. Seither nichts. Kein anderer Eintrag. Adresse ist hier in der Stadt.

»Wie war noch der Name?«, sagt Glass.

Er kennt ihn von irgendwoher. Er legt den Hörer auf und sieht noch einmal in die Akte. Jemand hat den Namen erwähnt. Ganz zu Anfang. Bei den ersten Vernehmungen. Am ersten Tag. Bevor er ankam. Er hat den Namen gesehen oder ihn gehört; er weiß nicht mehr genau, eines von beiden.

Er überfliegt die Seiten, flucht leise vor sich hin. Paul Rendell. »Fragen Sie doch Paul Rendell.« Paul Rendell, schreibt er auf, 18 Main Street, Leonora.

Erleichterung. Sie lindert die Schmerzen in seinen Beinen. Er umkreist den Namen. Dann noch einmal. Hört nicht auf, bis Kreis um Kreis über die Seite nach außen wellt.

Irgendwie findet Rose Tschernobyl richtig aufregend. Sie weiß, es ist falsch. Eine Katastrophe aufregend zu finden. Aber es fühlt sich einfach zu sehr wie das Ende der Welt an. Sie schlägt ihr grünes Notizbuch auf und schreibt, während sie mit halbem Ohr den Stimmen im Radio lauscht. Die Stimmen klingen ebenfalls aufgeregt; sie sprechen schneller, streiten miteinander; natürlich wird die radioaktive Wolke irgendwo niedergehen, sagen sie, sie treibt bereits aus der UdSSR nach Deutschland rüber, es ist nur eine Frage der Zeit.

Mrs Bonnick karrt den Fernseher in die Geschichtsstunde, sie will, dass sie die Nachrichten sehen. Sie zeigen ein brennendes Gebäude, Arbeiter in Schutzanzügen und in ganz Europa Menschen in Angst vor dem radioaktiven Niederschlag. Sie tragen Kleider in Schichten übereinander, Masken; alles ist kontaminiert. Es ist eine so düstere Geschichte. Mit unbegrenzten düsteren Möglichkeiten.

»Seht ihr«, sagt Mrs Bonnick, die leicht zittert und eine Zigarette bräuchte. »Das ist der Gang der Geschichte, direkt vor euren Augen.«

Pearlie ist nicht da. Sie war schon seit drei Tagen nicht in der Schule.

»Où est Pearl Kelly?«, sagt Madame Bonnick im Französischunterricht.



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